Das versteckte Geschenk

Sie hatte nur gesagt, dass sie selbst vergessen hätte, wo sie das Geschenk versteckt hatte, es verlegt hätte, um von seiner Suche selbst überrascht zu werden. »Ich will Dich sehen, wie Du suchst, wie Du aussiehst, wenn Du suchst – ich will Dein Suchen finden, welche Bilder es erfindet, nur sehen, wonach Du suchst«. Die Aufgabe forderte ihn heraus, versuchte ihn, suchte ihn heim wie eine Versuchung, den heimlichen Vorstellungen zu begegnen, den Spuren zu folgen, die von seinen heimlichen Vorstellungen gezogen werden, von den Vorstellungen, die sie von seinen Vorstellungen hatte. Was stellte sie sich vor, was er sich vorstellte, was er sich als Geschenk vorstellte, was sie ihm schenken könnte? Was stellte sie sich vor, was er nicht hatte, was er nicht erreichen konnte, immer nur halb fassen konnte, nur vorgestellt, getrennt vom Ziel nur durch die Distanz der bloßen Vorstellung als Geschenk, nie anders bekommen wird denn als Geschenk? Sie versuchte ihm zu helfen: »Ich will Dich sehen, wie Du Dir Deine Überraschung vorstellst, welche Bilder Du Dir von der Überraschung machst, woran Du denkst, wenn Dich etwas überraschen soll. Ich will Dein Überrascht-Sein finden, will mich überraschen lassen von Deiner Überraschung. Das Geschenk, nach dem Du suchst, wird meine Überraschung sein, Deine Überraschung wird mein Geschenk sein, ich will Dein Suchen finden, will das Geschenk finden, das mir Deine Suche bereitet, das Geschenk, das Dein Suchen versteckt«. So begann er zu suchen, nach seinem Geschenk zu suchen, das durch seine Suche zugleich ihr Geschenk und ihre Überraschung werden sollte. Er suchte in ihren Augen, legte suchend den Blick in ihre Augen, führte suchend seine Nase an ihren Hals, in ihr Haar, suchte nach einem Geruch, nach einem Hinweis ihrer Vorstellungen von den seinen. Seine Versuchung legte ihm nahe, es ohne Augen zu versuchen, die Augen zu schließen, nur den Vorstellungen zu folgen, den Händen zu folgen, den tastenden Fingern, die sich an ihrer Haut versuchten, an den Brüsten, an der Richtung der Brustwarzen, die einen Hinweis geben könnten, einen Anhaltspunkt in jeder Hand, die Synchronie einer Bewegung, kreisend, der Parabel einer Spur, einem Hinweis in ihrem Atmen, in ihrem Schlucken. Er fühlte, dass auch sie ihm nur mehr mit geschlossenen Augen zusah, sich sein Suchen vorstellte, seinem Suchen antwortete, ohne zu viel zu verraten, ohne ihr Geschenk zu verraten, sein Suchen mit ihrem Körper begleitete, sich überraschen ließ, von ihrem eigenen Körper, wie er sich von ihrem Körper versucht fühlte, sich auf der Suche leiten ließ, vom Geschmack ihrer Haut auf seiner Zunge, vom Geruch ihrer Spuren der Überraschung, vom Echo seines Suchens, der Erkundungen der Suche, vom Bild, das sich seine Hände von ihrem Geschenk machten, vom Bild, das sich seine Finger von ihrem Versteck machten, von ihren Vorstellungen von den seinen. Als wäre es schon Teil der Verpackung begann er sie vollends zu entblößen, sich selbst zu entblößen, sein Suchen ihrem Finden ähnlich zu machen, mit seinem ganzen Körper zu suchen, in ihrem Körper zu suchen, in seinem Körper dem Suchen nachzuspüren, ihren Blick auf seinem suchenden Körper zu spüren, die Verwunderung zu spüren, sein Staunen in ihren Augen zu sehen, in ihrem Lächeln die Vorfreude zu sehen, hautnah das Bild des Geschenks auftauchen zu sehen, zu verfolgen, wie sich das Suchen ein Bild vom zu Findenden macht, wie die Suche ein Bild vom Finden entwickelt, das Versteck im Suchen entdeckt. Es gab kein Wort zu verlieren, langsam begann er seine Vorstellung von ihr zu entdecken, seinen Vorstellungen zu folgen, sie zuzulassen, sie in ihr zu entdecken, sie zu finden, sie zu sehen, wie sie ihn sehen konnte, wie sie ihm zusehen konnte, wie er sie fand, wie er das Geschenk annehmen konnte und wie sie seine Suche als Geschenk annehmen konnte, wie sie ihn überraschte und wie sie von seiner überraschenden Suche überrascht war. So hatten beide das verlegte Geschenk gefunden, sie hatten das Suchen gefunden, die Versuchung nur im Suchen zu finden, fast süchtig nach dem Suchen, nach dem Geschenk des Suchens, das Geschenk im Geschenk.          

Hinterlasse einen Kommentar